Dr. Wolfgang Stegemann
Dr. Wolfgang Stegemann

Placeboeffekt - Wie der Kopf den Körper heilt

Der Placeboeffekt ist offensichtlich die Folge mentaler Beeinflussung (im transitiven Sinn). Es gibt inzwischen unzählige empirische Untersuchungen zum Thema, aber es gibt so gut wie keine Theorie zur Funktionsweise, und schon gar keine konsistente durchgängige.

 

Ich argumentiere hier weder auf empirischer noch auf der Mikroebene und ebenso wenig auf philosophischer Ebene. Ich versuche, ein Modell zu entwickeln, mit dem ein Verständnis des komplexen Zusammenspiels verschiedener Faktoren und Einflüsse auf einer mittleren abstrakten Ebene möglich wird.

Die Frage ist, wie nimmt das Gehirn bzw. das Bewusstsein Einfluss auf den Körper. Hierzu muss geklärt werden, wie das Gehirn bzw. das Bewusstsein arbeitet und wie der Körper aufgebaut ist.


Beginnen wir mit einer grundsätzlichen These: Leben besteht aus toten Bausteinen, keiner dieser Bausteine enthält für sich schon Leben. Daher ist Leben nur erklärbar aus der Art und Weise, wie diese toten Bausteine zusammenarbeiten. Leben ist also nur aus der Struktur erklärbar und kann nicht auf einzelne Elemente reduziert werden.


Betrachten wir die Phylogenese, dann sehen wir, dass Leben unterschiedliche Arbeitsweisen und Methoden entwickelt hat, den Austausch mit seiner Umwelt zu regeln. Während Einzeller Proteine synthetisieren und auf chemische Gradienten reagieren, haben sich im Laufe der Entwicklung neue Arbeitslogiken herausgebildet. Mehrzeller verständigen sich über spezielle Verbindungen (gap junctions) und tauschen chemische und elektrische Informationen aus. Einfachste Organismen haben die hormonelle Kommunikation erfunden und mit den zentralen Nervensystemen kam die elektrochemische neuronale Verarbeitung ins Spiel.


Alle diese Stufen sind in unserem Organismus enthalten und überlagern sich dort integrativ, aber unterscheidbar und immer noch nach ihrer Logik arbeitend.
Es muss also darum gehen, wie diese Ebenen miteinander kommunizieren.

Betrachten wir Leben als dynamisches System, allerdings nicht als physikalisches, sondern als biologisches System. Der Unterschied ist, dass physikalische Systeme passiv sind, biologische Systeme dagegen aktiv, sich selbst organisierend und reproduzierend. Ein dynamisches biologisches System strukturiert seine Umwelt, indem es sie in jene Strukturen umwandelt, die ihm entsprechen und sie somit handhabbar machen. Das gilt für den Stoffwechsel ebenso wie für die Musterbildung im Gehirn.


Aktivität bedeutet Strukturbildung. Jede der genannten Ebenen bildet Strukturen. Das heißt, jede Ebene ist nur von ihrer Struktur her zu verstehen und nicht von den einzelnen Elementen.
Strukturbildung verläuft als Assimilation von Elementen und damit einer Extension sowie der folgenden Komprimierung, Verkürzung und Reduktion in Form von Metastrukturen. Im Bereich des Denkens nennen wir diese Metastrukturen Abstrakta. In ihnen werden Strukturen zusammengefasst und abstrahiert. Ihre Informationsdichte ist hoch und damit haben sie steuernden Charakter. Das strukturelle dynamische System Leben bildet Metastrukturen, die steuern. Damit sind Erhalt wie Entwicklung des dynamischen biologischen Systems erklärt. Wir können ganz allgemein von einem Informationsgradienten sprechen, der das System antreibt und es quasi zwingt, sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Es entsteht also ein ständiges Informationsdifferential, das für alle mikro- und makroskopischen Entwicklungsschritte gilt. Man kann den Informationsbegriff wahlweise durch den Strukturbegriff ersetzen. Es entsteht eine Topologie mit hoher und geringer Strukturiertheit oder eben mit hoher und geringerer Informationsdichte.

 

Wie gestaltet sich nun der Informationsfluss zwischen den verschiedenen Ebenen?
Das Genom enthält die Konstruktionsanleitung für alle Ebenen. Somit konstituieren sich die Ebenen von unten nach oben (bottom-up). Entsprechend nimmt die Differenziertheit von unten nach oben zu. Warum ist das so? In der Regel nehmen biologische Systeme hinsichtlich Komplexität nach dem o.g. Prinzip Extension - Reduktion zu. Damit steigt auch die potentielle Informationsdichte. Biologische Systeme bauen sich also von unten nach oben auf.


Das bedeutet umgekehrt, dass sich durch diesen Informationsgradienten ein Informationsgefälle von oben nach unten ergibt. Das bedeutet, dass von oben nach unten eine regulatorische Determiniertheit besteht.

Erfolgt nun auf der oberen Ebene - dem zentralen Nervensystem - eine Störung, wird diese nach unten weitergegeben. Stellen wir uns die Ebene A als Netzstruktur vor mit 100 Knoten und die darunter liegende Ebene B als Netz mit 10 Knoten. Wenn jeder Knoten von Netz A mit jedem Knoten von Netz B verbunden ist, kommen an jedem Knoten von Netz B zehnmal so viele Verbindungen an wie umgekehrt.


Verändert sich Netz A durch Ziehen oder Stauchen, ändert sich Netz B ebenfalls, allerdings nicht linear kausal, sondern in nichtlinearer Weise. Betrachten wir Netz A unter oszillatorischen Bedingungen, entsteht für Netz B eine Asynchronität, die ebenfalls nichtlinear ist. Je weiter zwei Ebenen voneinander entfernt sind, desto indirekter erfolgt der Einfluss.
Wir wissen aus der Theorie dynamischer Systeme, dass sich solche Induktionen aufschaukeln und kippen können und in einen pathogenen Zustand geraten können, der irreversibel ist. Die Induktion kann auf jeder Ebene erfolgen und setzt sich nach unter fort.


Wenn die Entropie einen kritischen Punkt übersteigt, kann sie nicht mehr exportiert werden, wie dies für jeden Lebensprozess üblich ist (point of no return).
Der Determination von oben folgt eine indeterministische Entwicklung der betroffenen Ebene innerhalb eines Phasenraumes. Über diesen Weg verlaufen psychosomatische Störungen.

Es gibt eine zweite Verbindung nach unten. Während die gerade beschriebene unterbewusst verläuft, ist mit der zweiten Verbindung eine intendierte gemeint. Bei der ersten handelt es sich um einen Kontrollverlust, die zweite wird 'bewusst' induziert.

 

Das Gehirn ist ein physisches Organ, das Bewusstsein ist eine Eigenschaft des Gehirns, Denken und Empfinden sind oder entstehen durch physische Veränderung. Wie wir gesehen haben, verändert sich damit nicht nur das Gehirn, sondern ggf. der gesamte Körper. Wir können, wenn keine irreversiblen Störungen eingetreten sind, diese umkehren.

Das Gehirn - wir lassen die Bedeutung des ICH als Steuerinstanz durch Agglomeration von Metastrukturen hier außer Acht - kann gedacht werden als Topologie aus hoch und weniger hoch strukturierten Bereichen. Ordnen wir den hoch strukturierten Bereichen Bewusstsein (nicht im medizinischen oder ontologischen Sinn) zu und den weniger strukturierten Unterbewusstsein zu, so ergibt sich zum einen ein fließender Übergang, zum anderen lassen sich unterschiede im Umgang mit Realität aufzeigen. Hier muss noch eingefügt werden, dass die Steuerung somatischer Prozesse wie Atmung, Herzschlag, etc. hier nicht berücksichtigt werden braucht.


Man kann dann grob davon ausgehen, dass in erster Linie die hoch strukturierten Bereiche sprachlich abstrakt codiert werden, während die anderen eher symbolisch und in Form von Narrativen codiert sind. Allerdings kann dabei keine exakte Trennung vorgenommen werden, da sich beide überschneiden und überlagern.

Trennen wir dennoch beide Bereiche analytisch, ist der bewusst abstrakte Bereich stärker von der integrativen Identität von Körper und Geist entfernt, als der unterbewusste. Denn sprachliche Abstrakta beziehen sich weniger auf das Individuum selbst, als vielmehr auf soziale Übereinkünfte in Form von Sprache und sind komplexer. Wenn wir also mentalen Einfluss auf somatische Prozesse nehmen wollen, bietet sich der symbolisch-narrative Bereich des Unterbewussten an.

 

Der Placeboeffekt nutzt diesen Weg rein zufällig bzw. vom Therapeuten intendiert. Die Narrative dafür sind bekannt: Arztkittel, Vertrauensbasis, Tablettengabe, u.v.a. lösen beim Patienten das aus, was in der Placebo Forschung Erwartungshaltung genannt wird und was ich als Angebot bezeichnen würde, das dynamische Ungleichgewicht auszugleichen, das durch eine Krankheit psychisch entsteht.

 

Dieses Angebot kann auch auf anderem Wege erfolgen, nämlich, indem man Praktiken lernt, die diese Narrative enthalten. Man findet solche Angebote z.B. in fernöstlichen Lehren. Dort sind diese Angebote in der Regel spirituell verknüpft. Man kann diese Narrative aber auch ohne spirituelles Beiwerk anwenden und hat dann dieselben oder sogar größere Erfolge, da der spirituelle Anteil für viele eher psychisch hinderlich sein kann.


Der Vorteil solcher Techniken liegt in der ständigen Verfügbarkeit und der Förderung der Autonomie der Praktizierenden.
Was aber passiert hier genau? Mittels Informationsgradient sind wir in der Lage, den Einfluss des ZNS auf das Hormonsystem auszuüben und dort harmonisierend einzuwirken. Durch Rückkopplung sind wir sogar in der Lage, fokussierend zu wirken, also bestimmte Körperbereiche anzusprechen, zu denen eine Verbindung herstellbar ist, z.B. Herz, Magen, Darm, aber auch andere Organe oder Körperbereiche. Autogenes Training kennt viele solche Beeinflussungen.

 

Unsere Symbolhafte Sprache des Unterbewusstseins koppelt mit dem Limbischen System, zu dem auch der Hypothalamus gehört. Dieser steuert zusammen mit der Hypophyse einen Großteil des Hormonsystems. Das Hormonsystem regelt nicht nur die Kommunikation zwischen den Organen, sondern ist auch für verantwortlich dafür, dass die Organebene regelgerecht oszilliert. Der Informationsgradient nimmt also Einfluss auf das Hormonsystem insgesamt, kann aber selbst einzelne Organe ansprechen, denn das zentrale Nervensystem reicht in jeden Winkel des Körpers und greift zusammen mit dem Hormonsystem auf ein einzelnes Organ durch Rückkopplung zu.


Man kann dies in die Praxis umsetzen, indem man geeignete Methoden anwendet. Es funktioniert aber eben nicht dadurch, dass ich den mentalen Einfluss rational gelten mache, sondern die Rationalität gerade 'ausschalte', indem ich Narrative durch Symbole sprechen lasse und damit genau das ausschalte, was die klassische Philosophie als Geist bezeichnet.
Das Gehirn ist in dem Augenblick also nicht Träger von Geist, sondern es ist ein Organ wie jedes andere.
Man kann somit spirituelle, auf einer langen Tradition basierende Methoden säkularisieren.


Ich habe eine solche Methode namens Prana angewandt und dabei sowohl im Selbstversuch wie auch bei anderen überraschende Erfolge erzielt. 
Die Hand spielt dabei eine wichtige Rolle. Mit ihr wird symbolisch negative Energie ausgereinigt. Der enge Zusammenhang zwischen Kognition und Gesten konnte nachgewiesen werden. Weniger die Erwartung, sondern eher die Überzeugung auf Heilung begleitet solche Techniken. Entscheidend hierbei ist aber die Symbolik, die uns glauben macht, wir könnten wirklich Schlechtes aus dem Körper entfernen.


Ich bezeichne diese Methode als affirmative narrative Handlungspraxis, die der Proband nach einiger Übung beliebig anwenden kann. Vorab sollten allerdings gesundheitliche Probleme ärztlicherseits abgeklärt werden.