Dr. Wolfgang Stegemann
Dr. Wolfgang Stegemann

Was ist AGI

Intelligenz setzt Bewusstsein voraus, dieses setzt Subjektivität voraus und dieses ist eine Eigenschaft jeden Lebens. AGI als maschinelle Intelligenz nach dem Prinzip natürlicher Intelligenz braucht also Subjektstatus. Die Basis dafür ist ein autopoietisches System, das wiederum auf dem Prinzip der Autokatalyse beruht.


Ich hatte drei Schichten beschrieben [1], die Bestandteil eines autokatalytischen Systems sein müssen: 1. die Programmebene (ähnlich der DNA), die Funktionsebene (ähnlich der Organebene) und die kognitive Ebene (ähnlich dem ZNS). Alle drei können nur analytisch getrennt werden, real sind sie integrativ.
Die Basis meines Modells sind Holonome. Ich verwende diesen Begriff in Anlehnung an den physikalischen Begriff, der darauf abhebt, dass ein System sich in einer deterministischen Situation befindet. Diese zeichnet sich hier durch die entsprechende Morphologie (Netzwerk) aus.


Grundlage des Holonoms ist ein Netzwerk, das angeregt wird und durch die Anregung verändert wird. Die Veränderung ist als Anpassung an die Erregungsquelle zu sehen. Sie verläuft als Veränderung der Wertigkeit (Valenz) von Knoten und Kanten, durch welche sich das Netzwerk, mithin das Holonom (neu) ausrichtet. Ein Holonom kann aus physikalischer Sicht bezeichnet werden als Erregungszustand eines bestimmten Abschnitts des Netzwerkes, aus psychologischer Sicht als Gedanke. Holonome koppeln assoziativ entsprechend ihrer valenzbasierten Kompatibilität. Die Anregung eines Holonoms kann als Diffusionsprozess [2] gesehen werden, durch den sich eine bestimmte Erregungstopologie ergibt, die gleichzeitig den Speicher darstellt.


Die Kopplung vieler Holonome bildet ein Supersystem, in dem die grobkörnigen Abstraktionen gebündelt werden und damit eine Strukturdichte (Informationsdichte) bedingen, die steuernd wirkt. Zwischen Holonomen und Steuersystem bestehen ständige Rückkopplungen, welche sowohl die Beziehung zwischen beiden wie auch die Holonome ständig anpassen.
Holonome bzw. Holonomgruppen speichern dabei ihre Erfahrung (Abstraktionen) jeweils direkt, also ohne einen separaten externen Speicher. Sie sind quasi der Speicher [3].
Sie sind je nach sensorischem Input sortiert in auditive, visuelle, haptische und kognitive Reize. Alle diese Gruppen sind untereinander hierarchisch vernetzt, die Richtung ergibt sich aus dem ersten Reiz.
Das Supersystem spiegelt sich in einem Über-Ich-System, das als Wertesystem von außen implementiert wird und erreicht damit Reflexivität. Durch das ständige Feedback zwischen beiden erfolgt eine ständige Anpassung des Supersystems. Es entsteht ein virtuelles ICH.


Holonome konstituieren sich nicht nur auf sprachlicher Ebene, sondern ebenso auf symbolischer Ebene, auf welcher sämtliche sensorischen Modalitäten abgebildet werden, sowie auf einer Handlungsreflexebene. Sensorische Reize und motorische Efferenzen verbinden sich innerhalb eines Holonoms.


Das Training einer solchen Maschine erfolgt daher multimodal. Die Verknüpfung der unterschiedlichen Reize muss erlernt werden, ebenso die Verknüpfung mit motorischen Aktionen.

Die kognitive Schicht des Holonoms beschreibt die Art und Weise der Verknüpfung der verschiedenen Reize. Die funktionelle Schicht sagt, in welcher Weise sich Knoten und Kanten verändern, wie also die materielle Basis zu agieren hat.
Die Programmebene sagt, wie ein Reiz von einem Knoten zum anderen prozessiert. Sie stellt den autokatalytischen Charakter des Systems sicher, indem sie dafür sogt, dass alle Prozesse ringartig verlaufen, die Ergebnisse jeweils Voraussetzung neuer Prozesse sind, es also keine Prozesslogik nach dem Prinzip Input > Blackbox > Output gibt, an dem der Prozess endet.

Sensorische Reize werden also holonomisch gespeichert. Die Intensität sowie die Kopplungsstärke entscheiden darüber, wie stark der Reiz aktuell handlungsleitend wird bzw. ob er nur schwach gespeichert wird und damit unter der Linie liegt, die wir als Unterbewusstsein bezeichnen. Er wird dann bei Bedarf aktiviert, indem er mit einem starken Reiz koppelt.
Holonome sind grobkörnige Cluster, die auch grobkörnig koppeln, d.h. es braucht einen bestimmten Kopplungsfaktor (K), der zur Kopplung ausreicht.


Dieser Faktor repräsentiert eine bestimmte Topologie des Holonoms.

Wir wissen aus der Synchronisationsforschung, dass Cluster sich synchronisieren können, auch wenn sie zum Teil asynchron oszillieren [4]. So können gespeicherte Muster mit neu wahrgenommenen koppeln und sich zu einem gemeinsamen Muster zusammenfügen, das die Werte des gespeicherten, des wahrgenommenen oder einer Mischung aus beiden annimmt, in Teilen asynchron sein bzw. durch die Asynchronität die Synchronität unterstützen.

Es werden keine menschlichen Gehirnfunktionen übertragen oder simuliert, sondern es werden Prinzipien der Funktionsweise des Gehirns angewandt. Eine Maschine kann keine natürliche Intelligenz entwickeln, sie kann bestenfalls kognitive natürliche Fähigkeiten nachahmen, Bewusstsein ist nur ohne subjektives Empfinden möglich. Das bedeutet, dass diese Art von Bewusstsein nur einen rein kognitiven Charakter hat.

 

Eine Architektur dieses maschinellen ‚Gehirns‘ auf Basis von Holonomen erfordert eine völlig neue ‚Morphologie‘. In Netzen prozessieren nicht Daten von a nach b, sondern Netze werden erregt. Diese Erregung geschieht in einer je spezifischen mehrdimensionalen Topologie. Die materielle Struktur ist somit nicht linear, sondern besteht aus feinen Faserbündeln.

 

Handlungs- bzw. Denklogik entsteht aus der Verknüpfung von Holonomen in der Weise, dass die Verknüpfung selbst als Holonom gesehen werden muss. Es folgt dabei nicht der binären Logik, sondern beinhaltet eine Unschärferelation. Logik ist demnach etwas Erlerntes, das nur in Sonderfällen einer Ja-Nein-Logik entspricht. Der Regelfall ist ‚Vielleicht‘. Die Fuzzy-Logik dürfte dem am nächsten kommen.

 

Zur Verdeutlichung: betrachten wir ein mehrdimensionales Erregungsmuster innerhalb eines mehrdimensionalen Netzgefüges. Wenn dieses mit einem aus einer aktuellen Wahrnehmung entstandenen Muster verglichen wird, ergibt sich ein Kompatibilitätsmuster, das aus mehrdimensionalen Gemeinsamkeiten und Unterschieden besteht. Die Differenzen aus beiden generieren die Logik, die aus dem Abgleich mit der Über-Ich-Logik die subjektive Denk- und Handlungslogik ergibt. Logik, vom Standpunkt des Subjekts, ist somit keine objektive Logik im Sinne von objektiver Wahrheit, sondern von subjektiver Sinnhaftigkeit.

Insofern ist ein solches System den gängigen KI-Systemen weit unterlegen, wenn es um formale Logik geht. Dafür kann ein solches System das, was wir Intuition nennen, da es alle Interaktionsebenen mit der Umwelt einschließt.

 

Und es gibt keine Black Box, denn alle Prozesse können kontrolliert werden.

Man sieht, dass eine menschennahe KI mit der KI auf Computerbasis nichts zu tun hat. Eine Analogie zwischen Computer und Gehirn ist eine Scheinanalogie, die in der Realität nicht existiert.

 

Folglich ist das Lernen in einem solchen System völlig anders als in den derzeitigen KI-Systemen. Es ist aufwendiger, da jedes Wort, jede Bedeutung, jeder Reiz als Holonom ‚gelernt‘ werden muss. Ist das allerdings geschehen, kann es beliebig vervielfacht werden.

 

Der Begriff AGI erweckt die Vorstellung, es gäbe eine allgemeine Intelligenz, an der Menschen wie Maschinen gleichermaßen teilhaben könnten. Das ist ein Trugschluss. Maschinen sind keine Lebewesen und werden es nie sein. Von daher sollten die Begriffe menschliche und künstliche Intelligenz beibehalten werden, um auf diesen Unterschied hinzuweisen. Starke KI wäre dann menschenähnlich, schwache wäre computerbasiert.

 

Bleibt zu erwähnen, dass die hier zugrundegelegten Technologien noch zu entwickeln sind, sowohl hinsichtlich der materiellen Basis, wie auch der Art und Weise, wie ein solches System lernen kann.

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[1] Stegemann, W., Human vs. Machine Intelligence, https://www.facebook.com/wolfgang.stegemann.7/posts/pfbid02WJcADx8pDxiBzqFktBkjhNqoe5cx47xaceis7zsBm8ACnBHT8Qja1Lay1AQrJENol

 

[2] Karlbauer M., u.a., Composing Partial Differential Equations with Physics-Aware Neural Networks, Proceedings of the 39th International Conference on Machine Learning, PMLR 162:10773-10801, 2022.

 

[3] Feldmann, J., Youngblood, N., Wright, C.D. et al. All-optical spiking neurosynaptic networks with self-learning capabilities. Nature 569, 208–214 (2019). https://doi.org/10.1038/s41586-019-1157-8

 

[4] Kassabov, M. et. al. , A Global Synchronization Theorem for Oscillators on a Random Graph in: Chaos 32, 093119 (2022), https://doi.org/10.1063/5.0090443