Dr. Wolfgang Stegemann
Dr. Wolfgang Stegemann

Selbststeuernde lebende Systeme sind hierarchisch

Leben lässt sich prinzipiell als autokatalytischen Reaktionskreislauf beschreiben, der Energie, Entropie, Information mit seiner Umgebung austauscht. Dieser Austausch kommt nicht zu dem System hinzu, sondern ist Bestandteil des Systems. Die Produkte, die dabei entstehen, wirken in veränderter Form wieder auf das System zurück bzw. verändern die Form und treiben die Autokatalyse weiter an.
Beispiel Genom: die Produkte, die das Genom herstellt (Proteine) wirken durch alle Regulationsebenen (Zelle, Zellverband, Organe, ZNS) hindurch Richtung bottom-up, letztlich in die Umgebung hinein, und wirken als epigenetischer Einfluss (top-down) wieder auf das Genom zurück, indem dort Gene an- und ausgeschaltet werden und so langfristig das Genom verändern.
Diese epigenetische und genetische Veränderung lässt sich graphentheoretisch darstellen als Veränderung der Gewichtung von Kanten und Knoten sowie als Veränderung der Strukturdichte.
Das bedeutet, dass sich in jedem lebenden System die Reaktionswahrscheinlichkeit verändert und sich somit Attraktoren ergeben, die ihrerseits als Agenten auftreten.
Somit dreht sich bei lebenden Systemen die Kausalität gegenüber unbelebten Systemen um.

Ich hatte den Zusammenhang des Anstiegs der Strukturdichte und damit der Reaktionswahrscheinlichkeit mit den beiden Gleichungen bereits beschrieben [1]:

  1. C = \sum_{i=1}^{n} \sum_{j=1}^{m} d(i, j) \cdot w(i, j) für die lokale Dichte
  2. k = A \cdot e^{-\frac{E_a}{RT}} \cdot f(d) für die Reaktionswahrscheinlichkeit

 

Die verschiedenen System- bzw. Netzwerktheorien beschreiben mit ihren Ansätzen jeweils unterschiedliche Aspekte, machen aber keinen Unterschied zwischen lebenden und nicht lebenden Systemen [2].

Der entscheidende Unterschied zwischen beiden ist die hierarchische Überlagerung.
In lebenden Systemen werden lokale Dichten ständig zu neuen Dichten zusammengefasst. Das bedeutet, dass in einem Netz topologische Peaks sich mit anderen Peaks verbinden und so ein Netz höherer Dichte und damit höherer Ordnung bilden. Netze abstrahieren also geringere Dichten und koppeln nur mit höheren Dichten. Es ist derselbe Vorgang, den man in der Kognitionspsychologie als Abstraktion beschreiben kann.

Dies lässt sich darstellen als N = \frac{k^2}{2m} wobei:
N die Anzahl der Ebenen in der Hierarchie ist
k die Anzahl der Verbindungen zwischen zwei Ebenen ist
m die Anzahl der Elemente in jeder Ebene ist.
 

N = \frac{k^2}{2m} beschreibt das Verhältnis zwischen der Gesamtzahl der Knoten im Netzwerk (N), der durchschnittlichen Anzahl der Verbindungen pro Knoten (k) und der Gesamtzahl der Kanten im Netzwerk (m).

In dieser Gleichung steht k für die durchschnittliche Anzahl der Verbindungen pro Knoten und m für die Gesamtzahl der Kanten im Netzwerk. Eine Kante repräsentiert eine direkte Verbindung zwischen zwei Knoten.

Die Gleichung besagt, dass das Produkt von k^2 und 2m gleich der Gesamtzahl der Knoten im Netzwerk ist. Dies kann als mathematische Beziehung zwischen der Struktur des Netzwerks und den Parametern, die die Anzahl der Verbindungen pro Knoten bestimmen, gesehen werden.


Um das Szenario zu beschreiben, in dem sich alle Peaks in einem Netzwerk zu einem neuen Netzwerk höherer Dichte oder höherer Ordnung verbinden, könnte man eine mathematische Gleichung verwenden, um diesen Prozess zu modellieren. Hier ist eine mögliche Beschreibung:

Angenommen, wir haben ein Netzwerk mit N Knoten und E Kanten. Die Dichte des Netzwerks wird definiert als das Verhältnis der tatsächlichen Anzahl der Kanten zur maximal möglichen Anzahl der Kanten. Die maximale Anzahl der Kanten in einem vollständig verbundenen Netzwerk mit N Knoten beträgt N*(N-1)/2.

In jedem Schritt werden die Knoten mit dem höchsten Grad (Peak) ausgewählt und zu einem neuen Knoten zusammengefasst. Die Kanten zwischen den ausgewählten Knoten werden entfernt, und eine neue Kante wird zwischen dem neuen Knoten und den Nachbarknoten des ausgewählten Knotens erstellt. Dieser Prozess wird wiederholt, bis keine Peaks mehr übrig sind.

Eine mögliche mathematische Gleichung, die diesen Prozess beschreibt, könnte folgendermaßen aussehen:

N' = N - k (Anzahl der Knoten im neuen Netzwerk nach der Fusion) E' = E - k (Anzahl der Kanten im neuen Netzwerk nach der Fusion) D' = E' / (N' * (N' - 1) / 2 (Dichte des neuen Netzwerks)

Hier steht k für die Anzahl der ausgewählten Peaks, die zu einem neuen Knoten fusionieren. N' und E' repräsentieren die Anzahl der Knoten und Kanten im neuen Netzwerk, während D' die Dichte des neuen Netzwerks ist.

Diese Gleichungen beschreiben den Prozess der Fusion von Peaks und die damit verbundenen Veränderungen in der Größe und Dichte des Netzwerks. Man kann nun die Gleichungen anpassen, um spezifischere Bedingungen oder Parameter für das Modell zu benennen.

Es ist ein skalenfreier Prozess, der sowohl für eine einzelne Zelle gilt wie für einen ganzen Organismus. Wie also die raumzeitliche Ausprägung dieses Prozesses vor sich geht, hängt von den Rahmenbedingungen ab, also von den stofflichen und Umgebungsbedingungen.

Wenn wir davon ausgehen, dass ein Netzwerk mit höherer Dichte einen höheren Informationsgehalt hat und daraus ein Informationsgradient zum Netzwerk mit niedrigerer Dichte resultiert, können wir dies mathematisch beschreiben. Hier ist eine mögliche Vorgehensweise:

Angenommen, wir haben ein Netzwerk mit hoher Dichte (ND) und ein Netzwerk mit niedriger Dichte (NL). Um den Informationsgradienten zu beschreiben, könnten wir den Unterschied im Informationsgehalt zwischen den beiden Netzwerken quantifizieren. Eine Möglichkeit dies zu tun, ist die Verwendung der relativen Differenz des Informationsgehalts zwischen den beiden Netzwerken.

Igradient = (ID - IN) / IN

Hierbei steht ID für den Informationsgehalt des Netzwerks mit hoher Dichte (ND) und IN für den Informationsgehalt des Netzwerks mit niedriger Dichte (NL). Der Informationsgehalt kann hier als Funktion der Dichte des Netzwerks betrachtet werden.

Angenommen, der Informationsgradient (Igradient) zwischen einem Netzwerk mit hoher Dichte (ND) und einem Netzwerk mit niedriger Dichte (NL) hat eine kausale Wirkung auf ein bestimmtes Phänomen oder eine Variable (z.B. V),  können wir dies als mathematische Beziehung ausdrücken:

V = f(Igradient)

Das bedeutet, das Netz mit hohem Informationsgehalt determiniert Variablen des Netzes mit niedrigerem Informationsgehalt und beeinflusst es dahingehend.
Es wäre eine Beschreibung des Prinzips etwa des Placeboeffekts, bei dem somatische Prozesse mental verändert werden können.

Selbststeuernde lebende Systeme sind autokatalytisch und bilden Hierarchien durch die Zusammenfassung von topologischen Peaks zu Netzen höherer Dichte durch Abstraktion und entfalten dadurch kausale Wirkung, indem sie Parameter des Netzes niedigerer Dichte verändern.

Netze mit höherer Dichte determinieren jene mit niederigerer Dichte demnach nicht vollständig, lassen ihnen also ihre Autonomie im Sinne ihrer Arbeitsweise. Durch die Veränderung der Parameter zwingen sie sie aber, ihre Arbeitsweise an ihre Maßgabe anzupassen.

Es ist somit keine absolute Hierarchie, sondern eine relative.

Denn das Netz mit höherer Informationsdichte ändert sich auch selbst, sobald sich die Parameter des darunterliegenden Netzes verändern. Der Informationsgradient hat Auswirkungen in beide Richtungen: top-down wirkt regulativ, bottom-up wirkt konstitutiv, da die Veränderung von Variablen wiederum das Netz mit höherer Informationsdichte verändert. Man könnte von einer Feedbackschleife sprechen, die nach unten regulativ, nach oben konstitutiv ist.

Um die beschriebene Feedbackschleife zwischen dem top-down regulativen und bottom-up konstitutiven Informationsgradienten mathematisch zu beschreiben, können wir eine Differentialgleichung verwenden. Hier ist ein möglicher Ansatz:

Angenommen, V(t) repräsentiert die Variable, die vom Informationsgradienten beeinflusst wird, zu einem bestimmten Zeitpunkt t.

Der top-down regulative Einfluss des Informationsgradienten kann durch einen Term dV_reg(t)/dt dargestellt werden, der die Veränderung von V im Laufe der Zeit aufgrund dieses Einflusses beschreibt.

Der bottom-up konstitutive Einfluss des Informationsgradienten kann durch einen Term dV_cons(t)/dt dargestellt werden, der die Veränderung von V im Laufe der Zeit aufgrund dieses Einflusses beschreibt.

Die Feedbackschleife kann durch eine Rückkopplungsfunktion f(V) repräsentiert werden, die den Einfluss von V auf den Informationsgradienten beschreibt.

Zusammen ergibt sich die mathematische Beschreibung:

dV(t)/dt = dV_reg(t)/dt + dV_cons(t)/dt + f(V)

Hierbei steht dV(t)/dt für die Änderungsrate von V im Laufe der Zeit.

Leben wäre damit ontologisch beschrieben.

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[1] Stegemann, W., Neural swarm intelligence? Medium, 2923,
https://medium.com/@drwolfgangstegemann/neural-swarm-intelligence-cf30ad78ba99
[2] siehe etwa: Random-Netzwerke, Graphennetze, Scale-free Netze, Small-World Netze, u.a.