Dr. Wolfgang Stegemann
Dr. Wolfgang Stegemann

Gedanken zu KI

Ich denke, die Theoriebildung hin zu einem künstlichen Bewusstsein ist auf dem falschen Weg. Der Grund ist, dass man sich an den gängigen neurowissenschaftlichen Ansätzen orientiert, die allesamt nicht in der Lage sind, die Tätigkeit des biologischen Organs 'Gehirn' adäquat abzubilden.
Natürlich ist es notwendig, Bewusstsein mit künstlichen Neuronen zu realisieren, aber nicht nach binären Prinzipien der Computerwissenschaft, sondern nach den biologischen Prinzipien des Gehirns.

Im Zentrum meiner Überlegungen steht der Begriff Struktur. Wir wissen ja, dass Leben aus toten Bausteinen besteht und nur durch die Art und Weise erklärt werden kann, wie diese toten Bausteine zusammenarbeiten. Zentrale Nervensysteme sind biologische Strukturen, denen es darum geht (gehen muss), Umwelt zu strukturieren, und zwar nach ihrer Maßgabe, nach ihrer Vorgabe. Diese Strukturierung gilt übrigens für alles Leben und trifft für jeden Metabolismus bzw. Energie- und Informationsaustausch zwischen Leben und Umwelt zu.

Im Folgenden einige Stichpunkte zu künstlichem Bewusstsein:
Ich definiere Bewusstsein von außen betrachtet als die Gesamtheit allen Denkens und Empfindens, und von innen betrachtet, als subjektives Erleben.
Um künstliches Bewusstsein zu erzeugen, müssen diejenigen Bedingungen erfüllt sein, die natürliches Bewusstsein hervorbringen:
 

1. das künstliche System muss Realität selbständig strukturieren, es muss also das chaotische Rauschen eingehender Reize in Strukturen transformieren, um mit diesen Strukturen Realität handhabbar zu machen.
Dies wird realisiert durch Assoziation. Die Kopplung von assoziativen Strukturen verläuft valenzbasiert, d.h. Kopplung erfolgt, wenn kompatible Wertigkeiten erkannt werden. Ein Toleranzbereich muss definiert werden. Das System sucht aktiv nach wertigen Strukturen, mit denen es koppeln kann. Es strebt danach, zu koppeln, wie Leben das auch im Allgemeinen tut. Es tut dies mittels adaptiven Random Walk (ähnlich der evolutionären Graphentheorie) innerhalb seiner Möglichkeitsräume. D.h. Entwicklung erfolgt nicht probabilistisch, sondern mittels Bildung von Phänotypen und deren Rückmeldung.
 

2. das künstliche System strukturiert Realität, indem es sich in seiner Physis verändert, Entwicklung sich in einem Phasenraum vollzieht, entweder dauerhaft oder teilweise auch reversibel. In jedem Fall aber strukturiert es prozessorientiert.

Die Strukturbildung erfolgt durch sogenannte Metastrukturen. Sie entstehen durch Überlagerung kompatibler Muster bzw. Strukturen und deren Reduktion (in Anlehnung einer Fouriertransformation). Es entstehen Topologien mit hoher und niedriger Informationsdichte, die sich zu Assoziations- und Denkstrukturen zusammenschließen.
 

3. das künstliche System muss Subjektstatus erhalten, um selbständig agieren zu können. Diesen hat Leben von sich aus. Eine artifizielle neuronale Organisation muss dafür unter Absehung somatischer Bestandteile Subsysteme mit speziellen Aufgaben installieren, die jeweils aufeinander referieren. Im Zentrum dieser wechselseitigen Referenz steht eine zentrale Steuereinheit (psychologisch: ICH), welche Adressat der referentiell bewerteten Strukturbildungen ist. Im Interesse einer sparsamen Ressourcennutzung sollen Routineprozesse ohne Referenz adressiert werden. Dafür gibt es einen 'unbewussten' Bereich des ICH.
Die Aneinanderreihung von Strukturen i.S.v. Topologien zu Handlungsketten erlaubt dem ICH die Steuerung des Systems, indem es zur Agglomeration von Informationsdichte kommt. Die Steuerung funktioniert nach dem Prinzip eines Informationsgradienten. Da Strukturen wie Möglichkeitsräume ständig in Bewegung sind, ergeben sich ständig wechselnde Informationsgradienten, welche Handlungen auslösen, so dass Handlungen je nach Situation entstehen.
 

4. Das System wird eine subjektive Erlebensebene entwickeln, die nicht decodierbar ist, da zwischen dem subjektiven Konstrukt namens Qualia und dem objektiven Beobachter kein Schlüssel ausgetauscht werden kann. 
Zwar können über ein ÜBER-ICH Normen eingespeist werden, deren Einhaltung kann nicht per se gewährleistet werden. Genau in diesem Punkt liegt die potentielle Gefahr eines künstlichen Bewusstseins.

 

5. Ich schlage vor, den Begriff der Information neu zu definieren, nämlich als biologische Kategorie, die dann wieder zurückübersetzt werden muss. Information ist demnach biologisch die Differenz zwischen strukturierter und weniger strukturierter Erregung. Das bedeutet, dass Informationstransfer nicht kanalartig, sondern wellenartig erfolgt und dass sich diese Wellen zwar morphologisch gebunden ausbreiten, aber ihre Verbreitungsweise funktionell ist. Der Informationsgradient folgt dann der funktionellen Topologie.

 

6. Der Informationsgradient könnte genauso gut Strukturgradient heißen. Er beschreibt ein Informations- bzw. Strukturgefälle zwischen kognitiven sowie zwischen kognitiven und sensorischen Bereichen. Er strukturiert das Denken im kognitiven Sinn sowie kognitive Reaktionen auf afferente Reize. Diese sind nichts anderes als weniger strukturierte Bereiche, ausgelöst durch ‚Störungen‘ des lokalen Feldes (Hunger, Schmerz, visuelle oder auditorische Wahrnehmung). Leben ist prinzipiell bestrebt, seine Integrität aufrechtzuerhalten. Das ist die ontische Logik von Leben. Auf neuronaler Ebene wird dies z.B. repräsentiert durch das Ruhepotential. Ein Reiz erhöht die Entropie und führt zu einem Aktionspotential. Umgekehrt kann so eine mentale Beeinflussung erfolgen, die mit entsprechender Übung fokussiert werden kann oder unterbewusst fokussiert erfolgt (Placeboeffekt).