Die Philosophie des Geistes ist ein schwieriges Feld, in dem man schnell die Orientierung verlieren kann. Schließlich blicken wir wie durch ein Fenster auf die Welt da draußen und sollen mit dieser Methode gleichzeitig Aussagen über uns selbst machen. Dabei geht es der Philosophie nicht um die Erforschung des Gehirns oder des Verhaltens, sondern um deren Interpretation. Und dazu gehört auch unser eigenes Erleben, um das es ja schließlich auch der Wissenschaft geht.
Wir haben es bei diesem Thema also mit verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven zu tun. Um hier ein wenig Ordnung zu schaffen, bietet sich die Formalisierung dieser unterschiedlichen Perspektiven
an – nicht in Form komplizierter Theorien, sondern in einem einfachen, verständlichen Raster.
Vier grundlegende Perspektiven
Wenn man sich mit dem Bewusstsein, mit dem Erleben und dem sogenannten „Ich“ beschäftigt, merkt man schnell: Es kommt ganz darauf an, von wo aus man schaut.
Manchmal betrachten wir den Menschen von außen – etwa in der Medizin, der Neurowissenschaft oder der Psychologie. Dann sehen wir messbare Körperzustände, Verhaltensweisen oder Testergebnisse.
Manchmal schauen wir von innen – als fühlendes, denkendes Wesen, das sich selbst erlebt. Dann geht es nicht um Daten oder Beobachtung, sondern um das, was in uns selbst vorgeht: Gedanken,
Empfindungen, Entscheidungen.
Und schließlich machen wir noch einen Unterschied zwischen dem, was wir als körperlich und dem, was wir als psychisch wahrnehmen. Auch hier stellt sich die Frage: Ist das, was wir erleben, eine Sache
des Körpers – oder des Geistes?
Aus diesen einfachen Unterscheidungen ergeben sich vier grundlegende Perspektiven, mit denen wir über uns selbst und andere sprechen können. Diese lassen sich in einer Art Koordinatensystem ordnen,
nennen wir es das 2 x 2 Modell des Bewusstseins:
3. Person (Außensicht) |
1. Person (Innensicht) |
|
Physis (Körperliches) |
Der Körper, wie er von außen erscheint – z. B. als Objekt der Medizin oder der Neurowissenschaft |
Der eigene Körper, wie er sich anfühlt – z. B. Schmerz, Wärme, Gleichgewicht |
Psyche (Seelisches) |
Das Verhalten und Erleben anderer – z. B. beobachtbare Emotionen, verbale Aussagen, Diagnosen |
Das eigene Erleben – Gedanken, Gefühle, Intentionen, Erinnerungen |
Diese vier Felder beschreiben nicht verschiedene Dinge, sondern verschiedene Perspektiven auf dasselbe Phänomen – nämlich auf den Menschen in seiner leib-seelischen Ganzheit. Schwierigkeiten entstehen oft dann, wenn diese Perspektiven vermischt oder verwechselt werden.
Ein Beispiel: „Ich habe Angst“
Um das Modell anschaulicher zu machen, betrachten wir ein einfaches Beispiel, das jeder kennt: „Ich habe Angst.“
Je nachdem, aus welcher Perspektive man diesen Zustand betrachtet, ergibt sich eine andere Beschreibung:
- Physis / 3. Person:
Ein Arzt oder Neurowissenschaftler sagt vielleicht: „In solchen Situationen steigen Puls und Blutdruck, die Amygdala ist besonders aktiv, der Körper bereitet sich auf Flucht oder Abwehr
vor.“
- Physis / 1. Person:
Ich selbst nehme körperlich wahr: „Mein Herz rast. Ich schwitze. Mein Magen zieht sich zusammen.“
- Psyche / 3. Person:
Ein Psychologe könnte sagen: „Die Person zeigt typische Angstsymptome: Rückzug, Unsicherheit, Meideverhalten.“
- Psyche / 1. Person:
Und mein eigenes Erleben ist: „Ich habe Angst vor dem, was gleich passiert. Ich denke, ich schaffe das nicht.“
Transformationen statt Kausalitäten
Die spannende Frage ist nun: Wie hängen diese Perspektiven zusammen?
Oft wird versucht, Erleben durch Gehirnprozesse zu erklären oder psychische Zustände auf körperliche Vorgänge zurückzuführen. Doch das funktioniert meist nicht ohne Verluste – und führt zu
Missverständnissen. Denn die Perspektiven sind nicht direkt kausal miteinander verbunden.
Stattdessen kann man sagen: Zwischen den Perspektiven bestehen Transformationspfade – also geregelte Wechsel des Blickwinkels, die ein und dasselbe Geschehen aus einem anderen Licht erscheinen
lassen.
Und wo liegt jetzt eigentlich das Problem?
Viele der berühmten Probleme der Philosophie des Geistes entstehen genau dann, wenn man versucht, von einer Perspektive aus direkt in eine andere zu springen – ohne den nötigen Perspektivwechsel
zu vollziehen.
Ein klassisches Beispiel ist das sogenannte Leib-Seele-Problem:
„Wie kann es sein, dass körperliche Prozesse (z. B. im Gehirn) zu subjektivem Erleben führen?“
Auf unser Modell übertragen versucht diese Frage, eine Transformation von der Physis 3. Person zur Psyche 3. Person als Kausalität zu erzwingen. Doch das Problem dabei: Zwischen diesen
beiden Perspektiven gibt es keine kausale Ableitung. Es sind nur verschiedene Aspekte derselben 'Sache'.
Ähnliches gilt für das berühmte „schwere Problem des Bewusstseins“, wie es David Chalmers formuliert:
„Warum fühlt sich etwas überhaupt so an, wie es sich anfühlt?“
Hier möchte man einen Zustand in der Physis 3. Person direkt auf die Psyche 1. Person abbilden – was das Modell nicht leisten kann. Solche Fragen führen daher nicht zu Lösungen, sondern
zu Verwirrung.
Keine Probleme – sondern Kategorienfehler
Sowohl das Leib-Seele-Problem als auch das schwere Problem des Bewusstseins basieren auf einer falschen Erwartung: dass man Erleben und Materie irgendwie ineinander übersetzen könnte.
In Wirklichkeit aber sind es verschiedene Koordinatensysteme, mit eigenen Regeln und Bezugspunkten. Wer versucht, sie direkt zu verbinden, begeht einen Kategorienfehler – so wie jemand, der fragt,
welchen Geschmack eine Primzahl hat.
Deshalb lautet die Antwort nicht: „Wir wissen es noch nicht“, sondern: „Wir sollten anders fragen".
Freier Wille?
Vor dem Hintergrund des 2 x 2 Modells ergibt die Diskussion um den freien Willen keinerlei Sinn. Wenn Körper und Geist keine Ontologien sind und zwischen ihnen keine Kausalität besteht, muss die Handlungsfreiheit und -möglichkeit für die Seite der Physis ebenso beschrieben werden wie für die Seite der Psyche. Es gibt kein deterministisches Verhältnis zwischen beiden.
Warum empfinden wir überhaupt etwas?
An diesem Punkt stellt sich die vielleicht tiefste Frage:
Warum gibt es überhaupt inneres Erleben? Warum empfinden wir Angst, Freude oder Schmerz – und nicht einfach nur Reize und Reaktionen wie Maschinen?
Diese Frage liegt außerhalb unseres bisherigen 2×2-Modells. Denn sie betrifft nicht die Beschreibung innerhalb der Perspektiven, sondern den Ursprung der Perspektiven selbst. Um sie zu beantworten, brauchen wir einen Meta-Blick von außen: den Blick der Evolution.
Aus evolutionsbiologischer Sicht lässt sich die Entstehung von Empfindung nachvollziehen:
Dieses innere Echo ist kein Selbstzweck. Es dient der Orientierung, der Antizipation, der effizienteren Steuerung von Verhalten. Schmerz z. B. ist kein mystisches Phänomen, sondern eine biologische Warnfunktion, deren subjektive Qualität – so unangenehm sie ist – ein evolutionärer Vorteil ist.
Diese Erklärung ist nicht magisch, nicht spekulativ, sondern rational und funktional. Sie ändert nichts daran, wie spektakulär sich Erleben von innen anfühlt – aber sie zeigt, woher es kommt und wofür es gut ist.
Das epistemische Problem der Philosophie des Geistes
Und genau hier liegt das unlösbar scheinende Problem der Philosophie des Geistes: Der Wechsel von der Beschreibung innerhalb der Perspektiven zum Meta-Blick von außen und wieder zurück ist nur schwer zu bewerkstelligen. Dieses Hinaus- und Hineinzoomen erfordert die Fähigkeit, relativistisch zu denken und sich von der eigenen Lebenswelt distanzieren zu können.