Über Jahrhunderte hat die Philosophie eine Vielzahl von Metaphysiken entwickelt, die in ihrer Ausführung und zugrunde liegenden Erkenntnistheorie oft willkürlich und austauschbar erscheinen.
Diese Ansätze kennzeichnen sich durch mangelnde Begründungen und umkehrbare Prämissen. Im Folgenden sind einige Beispiele für diese Willkür und Umkehrbarkeit aufgeführt:
Idealismus vs. Materialismus:
Idealismus behauptet, die Welt sei in erster Linie geistiger Natur, wobei Materie eine Manifestation des Geistes darstellt. Hegel sieht die Welt als Manifestation des absoluten Geistes, während Kant
die Welt der Erscheinungen vom Ding an sich trennt.
Materialismus hingegen sieht die Welt als primär materiell an, mit dem Geist als Produkt der Materie. Marx betrachtet die Welt als Produkt materieller Verhältnisse, und Hobbes als eine Ansammlung
materieller Körper.
Determinismus vs. Indeterminismus:
Deterministen glauben, dass alle Ereignisse kausal durch vorherige Ereignisse bestimmt sind und lehnen die Existenz eines freien Willens ab. Spinoza sieht die Welt durch Naturgesetze determiniert,
und Hobbes betrachtet den freien Willen als Illusion.
Indeterministen hingegen vertreten die Ansicht, dass es Ereignisse gibt, die nicht durch vorherige Ereignisse determiniert sind, und bejahen die Existenz des freien Willens. Hume leugnet kausale
Verbindungen zwischen Ereignissen, und Popper sieht die Zukunft als offen und unbestimmt.
Monismus vs. Dualismus:
Monisten argumentieren, dass es nur eine Art von Substanz gibt, wie Spinoza, der nur eine Substanz, die Gottheit, annimmt.
Dualisten wie Descartes und Locke erkennen zwei Arten von Substanzen an: Geist und Materie, wobei Locke die Seele als immaterielle Substanz betrachtet.
Konventionalismus vs. Realismus:
Konventionalisten sehen die Wahrheit von Aussagen als abhängig von Konventionen und Sprachgebrauch. Quine und Kuhn betrachten wissenschaftliche Paradigmen als soziale Konventionen.
Realisten hingegen glauben an eine objektive Realität, die unabhängig von menschlicher Wahrnehmung existiert, wie Aristoteles und Russell, die die Wahrheit von Aussagen als unabhängig vom
Sprachgebrauch ansehen.
Skeptizismus vs. Dogmatismus:
Skeptiker bezweifeln die Möglichkeit, Wissen über die Welt zu erlangen. Pyrrho und Hume argumentieren, dass unser Wissen auf Gewohnheit und Glauben basiert.
Dogmatiker wie Descartes und Locke sind der Meinung, dass Wissen durch Zweifel an klaren und deutlichen Ideen bzw. durch Erfahrung erlangt werden kann.
Subjektivismus vs. Objektivismus:
Subjektivisten betrachten moralische Werte als subjektiv und individuell. Hume und Nietzsche sehen Moral als subjektiv bzw. als Produkt von Machtverhältnissen.
Objektivisten wie Kant und Mill argumentieren, dass moralische Werte objektiv und universell sind, wobei Kant ein objektives Sittengesetz und Mill das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl
als moralische Ziele ansehen.
Nativismus vs. Empirismus:
Nativisten wie Chomsky und Fodor glauben, dass Wissen und Fähigkeiten angeboren sind.
Empiristen hingegen, wie Locke und Hume, vertreten die Ansicht, dass Wissen und Fähigkeiten durch Erfahrung erworben werden.
Rationalismus vs. Empirismus:
Rationalisten wie Descartes und Leibniz sehen die Vernunft als Quelle des Wissens und betonen die Bedeutung angeborener Ideen.
Empiristen wie Locke und Hume hingegen leiten Wissen aus der Erfahrung ab und betrachten die Vernunft als Werkzeug der Erfahrung.
Kontinentalphilosophie vs. Analytische Philosophie:
Die Kontinentalphilosophie legt den Schwerpunkt auf Bedeutung, Verstehen und Interpretation von Texten. Heidegger stellt die Seinsfrage als Kern der Philosophie dar, während Derrida die unendliche
Dekonstruierbarkeit von Texten betont.
Die Analytische Philosophie fokussiert sich auf Logik, Argumentation und Begriffsanalyse. Russell sieht die Philosophie als Sprachanalyse, und Wittgenstein führt die meisten philosophischen Probleme
auf Sprachverwirrungen zurück.
Pragmatismus vs. Idealismus:
Der Pragmatismus misst den Wert von Ideen und Theorien an ihrem praktischen Nutzen. James und Dewey betonen die praktische Anwendbarkeit von Theorien und deren Beitrag zur Problemlösung.
Der Idealismus bewertet Ideen und Theorien nach ihrer Wahrheit und ihrem inneren Gehalt. Kant unterscheidet zwischen formaler Wahrheit, der Übereinstimmung mit den Regeln der Logik, und materialer
Wahrheit, der Übereinstimmung mit dem Gegenstand.
Die Auswahl eines philosophischen Ansatzes ist oft eine Frage persönlicher Vorlieben, kultureller Einflüsse oder wissenschaftlicher Paradigmen, ohne dass einer der Ansätze eindeutig bevorzugt wird. Die vermeintliche Wahrheit lässt sich in keinem der Ansätze endgültig verifizieren oder falsifizieren.
Mit anderen Worten, kein einziger dieser Ansätze hat eine erkenntnistheoretische, metaphysische oder logische Begründung, die im Hier und Jetzt beginnt und damit ‚reealistisch‘ ist. Es handelt sich
ausnahmslos um vollkommen beliebige Aussagen, aus denen dann Metaphysiken errichtet werden.
Um eine Perspektive zu entwickeln, die dem menschlichen Geist und der Entwicklung menschlicher Intelligenz gerecht wird, müssen wir erkennen, dass Entwicklung im evolutionären Sinne vor allem Anpassung bedeutet und nicht objektive oder transzendente Erkenntnis impliziert.
Unser Wissen ist immer auf das beschränkt, was wir aus unserer menschlichen Perspektive und mit unseren menschlichen Mitteln erfassen können. Dies wird besonders in der klassischen und Quantenphysik deutlich, die epistemisch unterschiedliche Theorien darstellen.
Heisenberg argumentierte, dass klassische und Quantenphysik komplementäre Beschreibungen der Welt bieten, die sich gegenseitig ergänzen, aber nicht vereinbar sind. Die klassische Physik ist
deterministisch, während die Quantenphysik probabilistisch ist. Heisenbergs Unschärferelation zeigt die Grenzen der gleichzeitigen Bestimmung von Position und Impuls eines Teilchens auf.
Bohr sah in der Quantenphysik eine neue Interpretation der Realität, die von unserer Beobachtung abhängt. Bohm hingegen entwickelte eine alternative Interpretation der Quantenmechanik, die
Bohm-Theorie, die deterministische Elemente beibehält, während sie die wesentlichen Eigenschaften der Quantenmechanik bewahrt. Diese Theorie postuliert eine verborgene Variable, die den Zustand eines
Teilchens bestimmt, aber nicht direkt beobachtbar ist.
Klassische und Quantenphysik bieten unterschiedliche Beschreibungen der Natur, die auf unterschiedlichen Skalen basieren. Eine metaphysische Begründung ist dafür nicht erforderlich. Die
Erkenntnistheorie muss daher dort ansetzen, wo unsere menschlichen Fähigkeiten und Perspektiven es zulassen.
Wie muss also eine Erkenntnistheorie aussehen, welche induktiv beginnt und gleichzeitig anerkennt, dass wir Wissen immer nur von unserem Standpunkt als Mensch in dieser Perspektive erlangen können?
Es beginnt mit der unstrittigen Aussage, dass wir die Welt epistemisch transformieren in eine uns gemäße Modalität. Damit ist die Welt von vornherein eine subjektive. Dies geschieht durch unsere spezifische Interaktion mit der Welt, durch die wir neuronale Muster bilden. Dieses neuronale Transformat ist der epistemische Kern unseres Bewusstseins.
Es gibt also keine objektive Welt, damit kein Ding an sich, damit keine Metaphysik. Diese endet mit der Erkenntnis, dass es keine objektive Welt gibt, sie hebt sich quasi selbst auf.
Wir machen hier dasselbe, wie jede Entität. Indem wir der Welt in einer uns gemäßen Weise gegenübertreten, wird sie zu einer uns gemäßen, also subjektiven Welt. Dabei kann der Begriff Entität
beliebig aufgelöst und ebenso als Relation verstanden werden. Dadurch ändert sich nichts.
Nehmen wir ein Elektron, es ‚sieht‘ die Welt Elektron-isch. Damit ist die Welt für es von vornherein subjektiv und schließt jegliche Form von Objektivität im transzendenten Sinne aus.
Eine darauf basierende Metaphysik gilt nur so lange, bis der logische Schritt von der Transformation der Welt in eine subjektive vollzogen ist. Danach wird sie obsolet. Und da es sich bei diesem
logischen Schritt um eine Intransitivität handelt, gilt diese Obsoletheit von Beginn an, da jede Entität eben von Beginn an als solche instanziiert ist.
Damit haben wir die Metaphysik auf induktive und logische Weise praktisch ad absurdum geführt.
Wie ich bereits an mehreren Stellen erwähnt habe [1] [2] [3], handelt es sich um eine epistemische Relativität, die ich auch als anthropischen Relativismus bezeichnet habe. Das bedeutet, dass es
Dinge gibt, die uns determinieren, ohne dass wir sie wahrnehmen können. Den Stoff, aus dem diese ‚Dinge‘ sind, nenne ich in Abgrenzung zur bekannte Materie und Energie Quasi-Materie und
Quasi-Energie. Beide können nur indirekt erforscht werden. Möglicherweise handelt es sich bei dunkler Materie und dunkler Energie um solche Quasi-‚Dinge‘.
Welche Schlüsse zieht man daraus? Wir sprechen von einem Realismus, der sich ausschließlich auf unsere Welt bezieht, unter Berücksichtigung von materialen Einflüssen als Summe aus Materie und
Quasi-Materie sowie Energie und Quasi-Energie. Diese Einflüsse können sich auf allen Skalen zeigen (z.B. virtuelle Teilchen), das Problem besteht darin, sie immer Dingen bzw. Quasi-Dingen zuordnen zu
können.
Diese Quasi-Dinge haben im übrigen nichts mit dem Geist im idealistischen oder dualistischen Sinn zu tun. Jener Geist ist eine kategoriale Extrapolation unseres Denkens, welches als Begriff hier
ungerechtfertigterweise substanziiert wird und damit als eigene Entität erscheint.
Und ebenso wenig lässt sich mit einem solchen epistemischen oder anthropischen Relativismus unser Bewusstsein erklären, denn dieses ist Teil unserer anthropischen Existenz und nur aus dieser heraus
erklärbar.
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[1] Stegemann, W., Epistemology – Anthropic Relativism, https://medium.com/neo-cybernetics/epistemology-anthropic-relativism-2773dc8c77b7
[2] Stegemann, W., Anthropic Relativism — Part 2, https://medium.com/neo-cybernetics/anthropic-relativism-part-2-c5d77761125e