Dr. Wolfgang Stegemann
Dr. Wolfgang Stegemann

Leib-Seele Problem - gelöst

Der Leib-Seele Dualismus ist ein Problem, das letztlich auf eine falsche Kategorisierung zurückzuführen ist. Ich möchte dies im Folgenden anhand einer einfachen Gleichung zeigen.

Das Leib-Seele Problem beschreibt einen scheinbaren Gegensatz zwischen Physis und Bewusstsein, bei dem auf der einen Seite die Physis in Form physikalischer Zusammenhänge steht, auf der anderen Seite das Bewusstsein in Form einer philosophischen Zuschreibung.

Schreibt man dies als Gleichung auf, so steht auf der linken Seite der physikalische Zusammenhang, auf der rechten Seite das Bewusstsein.

Sie lautet:  Neuronen x Neuronen (Physik) = Bewusstsein (Philosophie).


Man sieht auf einen Blick, dass eine solche Gleichung keinen Sinn ergibt, da auf beiden Seiten unterschiedliche Sprachen verwendet werden. Es ist in etwa so, als würden man sagen, Apfel = Birne.

Stellen Sie sich vor, ein Reiz trifft auf das Auge und wird ins Hirn weitergeleitet. Dort wird er mit Mustern assoziiert und löst einen afferenten Reiz aus, der zur Bewegung der Extremitäten führt.
Exakt dieser Vorgang, der hier biologisch beschrieben ist, kann auch z.B. psychologisch oder sonstwie beschrieben werden, nämlich: ich sehe etwas, denke darüber nach und laufe weg.


Beides ist exakt dasselbe, nur in einer anderen Sprache und mittels einer anderen Perspektive.
Würde man nun auf die Idee kommen, die zweite Beschreibung aus der ersten ableiten zu wollen bzw. zwischen beiden eine Kausalität sehen zu wollen? Natürlich nicht. Aber genau das tut man, wenn man fragt, wie entstehen Gedanken aus Neuronen oder allgemeiner: wie entsteht Geist aus Materie.

Physikalisten entledigen sich dieses Problems dadurch, dass sie die rechte Seite dieser „Gleichung“ einfach streichen und behaupten, es gäbe gar kein Bewusstsein. Fragt man nach, was denn Empfindungen seien, heißt es, dies wären Wahrnehmungen, welche die Physis produziert, womit man sich das Problem wiederum einhandelt.

Ähnlich verfährt man mit der Frage, wie Entscheidungen getroffen werden. Die gängige Antwort lautet, das physische Gehirn treffe Entscheidungen und teile sie dann dem bewussten Erleben mit, wie etwa beim Libet-Experiment behauptet. Der gesamte komplexe Prozess einer Entscheidungsfindung mit Zweifeln, Abwägungen, Revidierungen, Planungen etc. wird einfach reduziert auf einen physischen Prozess, der als solcher bereits die Erklärung liefern soll.


Zum Verständnis: ich beschreibe hier einen ontologischen Bewusstseinsbegriff, der auf die Frage antwortet: was ist Bewusstsein prinzipiell.

Die o.g. Gleichung müsste, wenn sie korrekt aufgeschrieben würde, lauten:


Neuronen x Neuronen (Physik) = Bewusstsein (Physik).


Diese Gleichung wäre allerdings insofern 'falsch', da die Physik sich zum einen mit der unbelebten Natur beschäftigt und zum anderen keine Begriffe zur Verfügung stellt, mit denen Bewusstsein beschreibbar wäre. Genau dies ist etwa der Mangel der Integrierten Informationstheorie Tononis, deren (physikalischer) Informationsbegriff keinen Unterschied zwischen belebter und unbelebter Natur macht und somit Tür und Tor für einen Panpsychismus öffnet. 

Kommen wir zur Biologie. Dort müsste die o.g. Gleichung lauten:


Neuronen x Neuronen (Biologie) = Bewusstsein (Biologie).


Was kann hier ein biologisch begründetes Bewusstsein bedeuten? Argumentieren wir rein biologisch, dann muss Bewusstsein in einer historischen Reihe stehen, beginnend mit den ersten Einzellern. Einzeller bewegen sich nicht nur rein zufällig in der Welt, ansonsten wären sie kaum überlebensfähig. Die o.g. Intention ist nichts anderes, als ein Orientierungssystem. Beim Einzeller besteht dies in Form der ‚Orientierung‘ anhand physikalischer und chemischer Gradienten. Extrapoliert man dies phylogenetisch, bedeutet dies, dass das, was man als Bewusstsein bezeichnen kann, ebenso der Orientierung des Organismus dient, nur eben auf der Basis von Nervensystemen. Diese Nervensysteme generieren gleichzeitig eine Erregung bzw. Erregtheit, die der einzelne Organismus als Erleben wahrnimmt (Qualia) und die man als Beobachter messen kann.

 

Man kann nun verschiedene Modelle heranziehen, mit denen sich diese Erregtheit beschreiben und konkretisieren lässt. Wir befinden uns hier immer noch auf der biologischen Ebene. So ließe sich etwa die physikalische Theorie dynamischer Systeme transformieren in ein biologisches Modell, bei dem jenes Bewusstsein als Attraktor beschrieben werden könnte, der physikalische Begriff der Information (nicht Shannon!) in Zusammenhang mit Informations- bzw. Strukturdichte denselben dynamischen ‚Mittelpunkt‘ beschreibt oder die evolutionäre Graphentheorie als ein Orientierungswalk innerhalb von Möglichkeitsräumen beschrieben werden kann, Informationsgradienten eine top-down Regulation veranlassen etc.pp.

Auf dieser Grundlage ließen sich nunmehr neurowissenschaftliche Ansätze einordnen, die zu einer Konvergenz der unterschiedlichen Bewusstseinsbegriffe führen können, als medizinischer Begriff (bewusst vs. bewusstlos), psychologisch (bewusst vs. unterbewusst) oder neuropsychologisch (aufmerksam vs. entspannt).


Ohne eine solche wissenschaftstheoretische Kategorisierung von Bewusstsein bewegt man sich im Bereich völliger Beliebigkeit und Unbestimmtheit. Es zeigt sich ebenso, dass mit jedwedem physikalischen Modell Bewusstsein – ebenso wie Leben allgemein – nicht beschrieben werden kann. Es sind biologische Begriffe notwendig, die eine Basis bilden für Konkretisierungen jeder Art.

Sowohl die evolutionäre Erkenntnistheorie (Vollmer) wie auch die genetische Erkenntnistheorie (Piaget) verfolgen einen ähnlichen Ansatz.

Es geht beim Leib-Seele Problem also nicht um eine reale Beziehung, sondern um eine sprachliche. Dahinter steckt zum einen ein weitverbreiteter Dualismus, der zum anderen den Status einer Ontologie erreicht hat. Die sprachliche Trennung scheint die reale Trennung zu legitimieren. Diese Trennung ist uns so geläufig, dass wir sie als gegeben betrachten und nur noch versuchen, sie in irgendeiner Weise zu legitimieren oder zu leugnen, je nach epistemischer Überzeugung.

 

Wenn also eine Beziehung zwischen Physik und Philosophie oder Physiologie und Psychologie (Verhalten) hergestellt werden soll, müssen die verwendeten Begriffe gleichnamig gemacht werden, es muss ein gleicher Nenner gefunden werden. Erst dann kann etwa das Feuern bestimmter Neuronen mit einem bestimmten psychischen Zustand sinnvoll paraphrasiert werden, ohne dass es zu tiefgreifenden Missverständnissen oder ideologischen Vorentscheidungen kommt.